Im Schicksal nichts Neues – Lichtsbringers Adaption der Schrecken des Krieges

Die vielleicht wichtigste Figur für die Geschichte der letzten 120 Jahre trägt einen Namen, den heute kaum jemand kennt: Gavrilo Princip – jener serbische Freiheitskämpfer/Terrorist, der am 28. Juni 1914 den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand erschoss und damit die explosive Atmosphäre zwischen den europäischen Mächten entzündete. Die Folge war der Erste Weltkrieg, die Jahrhundertkatastrophe, in der 17 Millionen Menschen sterben sollten.

Dieser Text dreht sich nicht bloß um jenen Krieg. Diese Fate-Adaption dreht sich ganz allgemein um eine Vorstellung von Krieg und Gewalt, die in Folge jenes Krieges erwuchs.

Bis zum Ersten Weltkrieg war die Darstellung von Kampf und Krieg in Romanen meist jene, die wir auch heute noch kennen: als spannend oder heroisch, als eine „positive“, männliche Erfahrung.

Der Erste Weltkrieg zerschlug diese Illusionen. Es hat wenig Heroisches, von Giftgas entstellt zu werden.

Daher schildern Bücher und Filme nach dem Großen Krieg die Schlachten sehr viel düsterer.

 

Zur Klarstellung: Ich habe nichts gegen die alte Weise, Kämpfe darzustellen. Ich mag Action-Filme und sehe durchaus den Sinn spannender Kämpfe im Rollenspiel. Wer Mantel-und-Degen spielen will, will sich nicht mit posttraumatischem Stress herumschlagen.

Aber vielleicht mag man auch ab und zu etwas emotionaleres Spiel erleben, in dem die Grauen des Krieges thematisiert werden. Es kann sicher nicht schaden, diese Option zu haben. Ich zumindest finde es wirklich schade, dass diese Geschmacksrichtung im Rollenspiel so gut wie gar nicht vorkommt. Während es hunderte von Seiten über den tollkühnen Kampf gibt, schreibt fast niemand über die Kehrseite von Gewalt. Dabei ist gerade Fate mit dem Mechanismus der Konsequenzen und den oft psychischen Aspekten besonders für eine solche charakterliche Spieltiefe geeignet.

An dieses Interesse richtet sich diese Adaption, die einen Regelsatz darstellt, mit dem hoffnungsloses Ringen in beliebigen Szenarien abgebildet werden können. Es mag der Erste Weltkrieg oder ein anderer Krieg sein. Es könnte aber genauso gut der Widerstand gegen einen finsteren Besatzer sein oder das (metaphorischere) Ringen der Häftlinge in Guantanamo darum, am täglichen Wahnsinn nicht zu zerbrechen.

Übrigens: Ich bin kein Psychologe.

Ich weiß nicht, ob ich das explizit erwähnen sollte, aber ich bin kein Psychologe und habe wenig Ahnung von Kriegstraumata, psychologischer Belastung usw. Aber da die wenigsten Rollenspiele von Leuten geschrieben werden, die mit Schwertern und Streitkolben kämpfen können (geschweige denn Feuerbälle werfen), rede auch ich mich damit heraus, dass es ja um das Einfangen des Dramas und nicht der Realität geht. Trotzdem sollte natürlich niemand diesen Text als medizinische Beratung oder Fachmeinung auffassen.

Für den Fall, dass ein psychologischer Fachmann diesen Text liest, besteht aber kein Grund für ihn zu verzweifeln. Die Mechanismen erfordern genügend menschliches Ermessen (beispielsweise bei der Benennung von Konsequenzen), dass der Fachmann als Spielleitung hier realistisch dirigieren kann.

Wie man durchhält

Irgendwie muss ein Charakter mit den Grauen des Krieges klarkommen, mit denen ihn der Horror der täglichen Bedrohung konfrontiert. Deshalb ist die erste Frage dieser Adaption, mit welcher Fertigkeit das Durchhaltevermögen eines Charakters beschrieben wird.

Unter den Grundfertigkeiten wäre hier Wille zu nennen. Aber je nach Welt (oder vielleicht je nach individuellem Charakter) könnten hier andere Werte zum Einsatz kommen. Vielleicht lässt sich ein Gotteskrieger durch seinen Glauben motivieren oder ein Faschist durch seinen Fanatismus und ein Patriot durch seine Treue zu Kaiser und Vaterland – all diese könnte man als Fertigkeiten beschreiben. Solche alternativen Werte können auch gut parallel zur Fertigkeit Wille existieren, so dass sie gegen Traumata gewürfelt werden (dazu gleich mehr), während Wille weiterhin seine alte Rolle spielt und unter anderem die geistigen Stressboxen festlegt.

Im Folgenden wird die Fertigkeit oder die Fertigkeiten, die den mentalen Widerstand des Charakters gegen die Schrecken des Krieges abbildet, als „Belastbarkeit“ bezeichnet.

Was Einen zermürbt

Die Zermürbung des Soldaten oder anderen Kriegsteilnehmers kann mit Fate in zwei Mechanismen gefasst werden: Drastische Ereignisse in Form von mentalen Angriffen und schleichende Zermürbung durch Traumapunkte, die ich für diese Adaption entwickelt habe.

 

Wenn einem Charakter ein dramatischer Zwischenfall widerfährt, dann wird dies einfach wie ein geistiger Angriff abgehandelt, gegen den sich der Charakter mit seiner Belastbarkeit verteidigt.

Die Höhe dieses Angriffs auf der Stufenleiter legt die Spielleitung danach fest, wie schrecklich das Ereignis war. Dabei sollte sie berücksichtigen, wie direkt es den Charakter traf und wie häufig dieser zuvor schon mit ähnlichen Situationen konfrontiert gewesen war.

Sollte der Charakter den Schaden nicht durch Stresskästchen oder Konsequenzen abfangen können (also ausgeschaltet werden), dann zerbricht er an den Schrecken des Kriegs. Vielleicht wird er katatonisch oder nimmt sich das Leben, vielleicht wehrt er sich nicht mehr und wird getötet, vielleicht verfällt er völlig dem Fanatismus und opfert sich für seine Sache.

 

Das Problem mit dieser Regelung ist jedoch, dass sie nur große, einzelne Ereignisse abbilden kann. Für die langsame Zermürbung ist sie nicht feinkörnig genug.

Um den schleichenden Verfall in Regeln zu gießen, welche eine steigende Spannungskurve erzeugen, schlage ich die Traumapunkte vor. Ein Charakter starten mit der zehnfachen Anzahl an Traumapunkten als er geistige Stressboxen hat. (Wenn er zum Beispiel drei geistige Stressboxen hat, dann beginnt er mit 30 Traumapunkten.)

Ähnlich wie bei tragischen Ereignissen wird auch dieser allmähliche Verfall durch Angriffe abgehandelt, gegen die man sich mit seiner Belastbarkeit verteidigt. Je nachdem, wie angespannt die Lage aktuell ist, kann die Spielleitung die Höhe und die Häufigkeit dieser Angriffe anpassen. Wenn der Charakter aufgrund einer gescheiterten Verteidigung Schaden nimmt, wird dieser von den Traumapunkten abgezogen.

Seine Kampfmoral zu verlieren, kann ebenso gefährlich sein, wie verletzt zu werden. Für jede zehn Punkte, die der Traumapunktewert unter seinen Startwert fällt, wird ein körperliches und ein geistiges Stresskästchen blockiert. (Z. B. nach dem Verlust der ersten zehn Traumapunkte stehen die 1er Boxen nicht mehr zur Verfügung, um körperliche oder geistige Angriffe zu vermindern.) Dadurch wird ein belasteter Charakter schneller verletzt oder geistig zerstört.

Lange Zeiträume der Erholung können einem Charakter seine Traumapunkte zurückbringen. Doch dafür braucht er wirklich längere Zeit abseits der tägliche Bedrohung des eigenen Lebens.

Wenn ein Charakter dagegen all seine Traumapunkte verliert, dann erhält er sofort neun davon wieder, erleidet dafür jedoch eine extreme geistige Konsequenz, die seine chronische psychische Schädigung darstellt.

(Dem mathematisch aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass es leichter zu rechnen wäre, wenn man Traumapunkte erhielte, anstatt sie zu verlieren. Der Grund, es anders zu machen, liegt an einem psychologischen Phänomen namens Verlustaversion. Es belasten uns Verluste mehr als Gewinne. Selbst wenn wir eigentlich negative Dinge gewinnen, empfinden wir es immer noch als weniger schlimm als wenn wir die entsprechende Menge positiver Dinge verlören. Um diese psychologischen Effekt für die Stimmung zu nutzen, sind die Traumapunkte über Verluste definiert.)

 

Auf diese Weise kommt man natürlich schneller als sonst zu einer extremen Konsequenz. Dies ist jedoch kein Hindernis, sondern kann als Mittel gesehen werden, um den Schaden des Krieges abzubilden. Anders als nach den Fate-Core-Grundregeln kann ein Charakter in dieser Adaption bis zu drei extreme Konsequenzen auf einmal tragen, ohne einen großen Meilenstein zur Regeration zu brauchen.

Das betrifft allerdings vor allem geistige Konsequenzen, da eine extreme körperliche Konsequenz vermutlich zur Folge hätte, dass der Charakter als Krüppel heimgeschickt wird.

Dies könnte man allerdings auch als Form des Ausschaltens in einem körperlichen Konflikt verwenden: Anstatt zu versterben, kann ein Spielercharakter aus dem Spiel scheiden, indem er so schwer verletzt wird, dass man ihn danach in Bandagen ins Lazarett schickt. Der Spielleiter sollte diese Option als dramaturgisches Mittel im Hinterkopf behalten.

Was Einen motiviert

Natürlich ist auch im Krieg noch längst nicht alles düster und furchtbar. Insofern gibt es immer auch Quellen der Motivation, die ein Charakter nutzen kann.

 

Zunächst einmal ist das die Kameradschaft, die zusammenschweißt. Die Truppe sollte auf jeden Fall einen Gruppenaspekt haben (z. B. „der Glorreichen Schwarm bleibt unbezwungen“ oder „die Roten Säbel müssen zusammenhalten“). Diesen Aspekt kann ein Charakter unter anderem immer einsetzen, wenn er auf Belastbarkeit würfeln muss. Außerdem kann er in Ruhephasen etwas mit den Kameraden unternehmen, um freie Einsätze für diesen Aspekt zu erzeugen.

In Ausnahmefällen mag die Spielleitung diese Gemeinschaftsaktionen auch als Rechtfertigung nehmen, um wenigstens ein paar der schwindenden Traumapunkte zu regenerieren.

Kameraden machen aber natürlich auch verwundbar. Einen Kameraden zu verlieren, sollte ein besonders dramatischer Schicksalsschlag sein, der sowohl geistigen Stress als auch Traumapunkte kosten sollte.

 

Es gibt aber noch ein zweites stabilisierendes Mittel, mit dem die Kampfmoral gehalten wird: Alkohol und Drogen. Die Rumration sicherzustellen, war nicht umsonst eine der zentralen Aufgaben des britischen Militärs im Großen Krieg. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die deutschen Soldaten gar mit Methamphetamin vollgestopft. Rausch gegen den Wahnsinn.

Auch hier kann die Spielleitung Traumapunkte anbieten. Dafür besteht aber natürlich die Gefahr der Abhängigkeit, was vermutlich mit einem permanenten Aspekt geregelt werden sollte.

Worauf man hofft

Am Ende hofft jeder Soldat nur auf eines: dass der Krieg endet. Die Entwicklung des Konflikts als Ganzes bedarf daher auch einiger Beachtung.

Dafür bietet Fate zum Glück mit dem Fraktal ein einfaches Mittel an: Die beiden Streitmächte erhalten Aspekte, Fertigkeiten und Stressbalken (für die Erschöpfung der Kriegsressourcen). Ob die Streitmacht nur eine Kriegsfertigkeit bekommt oder ob man diese nach weiteren Besonderheiten aufspaltet (z. B. für Offensive und Defensive oder nach Region oder nach Jahreszeit – die russische Armee ist erstaunlich gut im Winter), ist Geschmackssache.

Vor jedem neue Szenario oder Spielabend würfle man eine Überwindenprobe mit der passenden Kriegsfertigkeit gegen aktiven Widerstand der Feindmacht. Je nachdem, um wie viele Stufen man gewinnt oder verliert, entwickelt sich der Krieg.

 

Das wirft natürlich die Frage auf, wie diese abstrakte, höhere Ebene regeltechnisch mit den Taten der Spielercharaktere verzahnt werden. Sprich: Wie wirkt sich der Verlauf des Krieges im Großen auf das Leben der Soldaten im Kleinen aus? Und wie können deren Taten den Ausgang des Kriegs beeinflussen?

Die simpelste Möglichkeit wäre, diese Verzahnung einfach gar nicht zu verwenden. Das mag zunächst sehr sinnlos wirken, aber das ist tatsächlich Absicht. Wenn man die Taten der SCs als besonders sinnlos und absurd hoffnungslos darstellen will, sollten ihre Taten auf den Krieg als Ganzes einfach gar keinen Einfluss haben.

 

Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Handlungen der Spielerfiguren für den Krieg Vorteile erschaffen können. Dann kann die Entwicklung durch freie Einsätze und Fate-Punkte der Spieler beeinflusst werden. Natürlich bedeutet eine gescheiterte Mission, dass der Feind einen Vorteil bekommt, den die Spielleitung nutzen kann.

Man sollte dann die Spielercharaktere auch direkt mit der Entwicklung des Krieges konfrontieren, damit diese kein reines Abstraktum bleibt, sondern die Spieler wirklich mitfiebern, wenn die Konfliktentwicklung ausgewürfelt wird. Ein einfaches Mittel wäre, dass jene Seite, die den Wurf gewinnt, die Zahl der Erfolgsstufen als zusätzliche Fate-Punkte erhält. Gehen diese an die Spieler, werden diese zu Gruppen-Fate-Punkten, auf die jeder Zugriff hat.

Schlussbemerkungen

Wie vielleicht bei der Lektüre dieser Adaption klar wurde: Diese Sorte Rollenspiel ist nicht für jeden.

Sie ist einerseits nicht für jede Spielleitung. Es erfordert etwas Übung, die richtige Stimmung zu vermitteln. Außerdem sind die hier vorgeschlagenen Regeln sehr flexibel und die Spielleitung braucht genügend Augenmaß und Ermessen, um sie an die jeweilige Situation anzupassen.

Diese Thematik ist aber auch nicht für jeden Spieler geeignet. Sie kann bei der richtigen Stimmung am Spieltisch für wirklich ergreifende Momente sorgen, aber sie ist auch emotional belastend und arbeitet mit wirklich harten, grausamen Themen.

Um dieses Problem etwas abzumildern, kann man mit einem Vetorecht arbeiten, wenn das Spiel zu extrem für einen wird. Man kann (und vielleicht sollte) sich aber auch vor dem Spiel darüber austauschen, ob es vielleicht Tabuthemen gibt. In jedem größeren Krieg kommen willkürliche Tode vor (z. B. durch Eigenbeschuss, was die Amerikaner Friendly Fire nennen), die vielen Spielern nicht gefallen. Leider sind Vergewaltigung oft ebenfalls an der Tagesordnung, aber in vielen Runden aus nachvollziehbaren Gründen ein Tabuthema.

Welche Schrecken des Krieges man mit dieser Adaption abbildet, kann zum Glück flexibel angepasst werden.

 

Titelbild via Wikipedia

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