Glaube in Rollenspielen

Weihnachten liegt gerade hinter uns und in dieser Zeit sind mir ein paar Gedanken zu Religion und Glaube durch den Kopf gegangen. An manchen Spieltischen wird das Thema gerne ausgeklammert oder auf regeltechnische Fähigkeiten und Boni reduziert. Aber Religion ist oft ein essenzieller Bestandteil der dargestellten Welt und sagt uns etwas über die Charaktere die diese bevölkern. 

Ich stand an Heiligabend in einer katholischen Kirche, die mir als Protestant und ohnehin seltener Kirchgänger, doch sehr fremd ist. Wir waren etwas spät an und standen daher in der letzten Reihe einer schlichten kleinen Ortskirche, die wie jedes Jahr an Weihnachten überquoll von Menschen. Vor zwei Jahren war ich zuletzt dort gewesen, der Gottesdienst folge allerdings, wie vermutlich seit vielen Jahren, einem gleichförmigen Muster aus althergebrachten Ritualen, Liedern, guten Worten und herzlichen Gesten. Jeder war willkommen und so saßen Alte wie Junge, Arme wie Reiche und Einheimische wie Zugezogene gemeinsam, eng gedrängt auf den harten Kirchenbänken.

Ich überlegte, was die Leute und mich hierherzog, warum der Kirchgang für viele zu Weihnachten gehörte, wo man doch heute so leicht allem religiösen den Rücken kehren konnte. Und ich überlegte mir, was der Glaube und die Kirche für die Menschen bedeuten könnte. Was würde sich eigentlich ändern, übertrüge man das in eine Fantasy Welt?

Für meine Ausführungen werde ich mir Aventurien, die Welt des schwarzen Auges, als Beispiel nehmen, da ich in dieser Welt momentan mit meiner festen Spielrunde unterwegs bin. Lest das bitte als das was es ist: eine lose Gedankensammlung aus der jeder gerne mitnehmen darf, was er für sich gebrauchen kann.

Struktur und Ordnung

Zum einen hat Religion etwas mit Struktur zu tun. Zu wissen, dass die Welt um einen herum nicht chaotisch, sondern genauso von einem höheren Wesen geordnet und gelenkt ist, hat etwas Beruhigendes. Im Mittelalter und in vielen Fantasy Welten ist die Ordnung der Stände oft etwas von höheren Mächten vorgegebenes. Für den einfachen Bauern bedeutet das, dass er nichts für seine Stellung kann. Er kann nichts daran ändern und braucht sich nicht dafür zu grämen, nichts Höheres zu erreichen. Für den Adligen ist es manchmal eine Bürde, aber auch ein Sicherheitsnetz, dass er, so unfähig oder vom Pech verfolgt er auch sein mag, trotz allem immer von Stand sein wird.

Und wenn doch etwas Unerwartetes passiert? Dann ist es eben der Wille der Götter oder die Verfehlung der Sterblichen. Aber die Welt, sie dreht sich immer weiter.

Dazu kommt die Kirche die Struktur und Ordnung vorlebt. Ob man glaubt oder nicht, es hat doch etwas Beruhigendes zu sehen, dass eine Institution, gefühlt unverändert, seit Jahrhunderten noch immer Bestand hat.

Manch einer sitzt also vielleicht nur im Gottesdienst, weil es ihm Halt gibt in einer unsicheren Welt. Und ist das in Aventurien anders? Ich glaube kaum. Für Bauer Alrik ist Religion keinen Deut greifbarer und realer als für uns heute. Das der Priester heilen kann, ist für ihn kein Wunder, sondern etwas, was ein Priester eben tut. Und ein echtes Wunder? Das kennt er auch nur aus den Erzählungen bei der Messe. Und die meisten Geschichten sind dann auch schon wieder hunderte Jahre her. Aber er geht trotzdem dem Herrn Praios die Ehre erweisen. Macht man halt so. Und ist ja auch schön da zu sitzen und zu wissen, dass ein Jahr rum ist und irgendwie hat sich ja doch nichts geändert.

Gemeinschaft

Ein Glauben ist auch stets eine Glaubensgemeinschaft. Es gibt andere, die an das gleiche glauben und das gleiche verdammen wie man selbst. Man steht mit seiner Meinung nicht alleine und selbst in der Fremde findet man andere, die den gleichen Glauben haben. Eine fremde Kultur ist auf einmal weniger fremd, wenn man eine gemeinsame Basis hat, auf der man sich begegnen und auf der man aufbauen kann.

In Aventurien, und vielen anderen Fantasy Welten, gibt es viele verschiedene Götter. Man kann sich die Gemeinschaft der man angehören will also ein wenig aussuchen. Trotzdem sind sie stets in einem Pantheon zusammengefasst. Man hat also doch einen gemeinsamen Nenner.

Wenn es aber im eigenen Ort nur eine Peraine Geweihte gibt und sonst nichts? Dann wird sich wohl Bauer Alrik dort in den Gottesdienst schleppen. Der Glaube ist dabei weniger wichtig, als Teil der Gemeinschaft und nicht von dieser ausgeschlossen zu sein. Gerade in einer gefährlichen Welt, mit allerlei Katastrophen und Monstern, ist der Zusammenhalt einer Gemeinde oft wichtiger, als die eigentliche Lehre.

Recht und Rechtfertigung

Was Richtig und Falsch ist definiert eine Gesellschaft i.d.R. für sich selbst und es definiert wiederrum die Gemeinschaft und ihre Individuen. Der Religion kann bei der Herausbildung dieser gemeinsames Werte und Glaubensvorstellungen eine große Bedeutung zukommen. Eine Gesellschaft ist aber selten homogen und so treffen verschiedene Gruppen, mit abweichenden Werten und Vorstellungen aufeinander.

Genauso findet man in der Religion Rechtfertigung für sein eigenes Handeln. Niemand denkt von sich selbst, dass er böse oder das Problem ist. Oder zumindest will man sich das nicht eingestehen. Hier kann Glaube eine Rechtfertigung sein für etwas, was gesellschaftlich nicht akzeptiert ist. Oder man lehnt die Werte der Religion als Falsch ab und sieht sich selbst und den eigenen Glauben stattdessen im Recht.

Wer kennt in Rollenspielen nicht die Schutzpatrone der Einbrecher und die Götter der Diebe? Auch ein Beutelschneider will nicht „der Böse“ sein und so verwundert es nicht, wenn er sein Handeln durch Religion zu rechtfertigen versucht. Wenn ein Streiter Kors auf dem blutigen Schlachtfeld steht, dann will er gewiss sein, kein elender Mörder, sondern ein ehrenhafter Krieger im Dienste seines Gottes zu sein. „Gott will es!“ Manchmal ist Glaube eben einfach praktikabel.

Für Alrik, unseren einfachen und götterfürchtigen Bauern, ist der Glaube aber auch Rechtfertigung für sein eigenes einfaches Dasein. Er zahlt seine Steuern an Kirche und Staat, er geht zum Götterdienst und er ist ein guter Mitbürger. Er könnte viel mehr im Leben erreichen, wäre er rücksichtsloser, würde lügen und betrügen. Freibauer könnte er sein, wie der Fetter, der immer den Steuereintreiber beschissen hat. Aber er geht schließlich den rechten Weg und auch wenn es ihm hier auf Dere deshalb schlechter geht, die Götter wissen, dass er richtig handelt.

Glaube ist etwas Persönliches

Auch wenn eine Religion klare Lehren, Ge- und Verbote hat und eine Kirche als Einheit auftritt, so ist Glaube doch immer etwas Persönliches. Nicht jeder lebt den Glauben gleich und vor allem liest er nicht immer erst genau nach, was seine Religion oder Kirche zu einem Thema zu sagen hat, wenn er eine Entscheidung treffen möchte. Für alle Leser habe ich den Tipp, Religion nicht abzuschreiben, sondern mal nachzusehen, ob da nicht doch etwas für einen selbst dabei ist.

Für alle Rollenspieler habe ich den Tipp Geweihte, Priester, Kleriker oder anderen Glaubensdiener nicht auf ihre Religion zu reduzieren. Zu allererst sind sie Menschen, mit eigenen Vorstellungen, Wesenszügen und Glaubensauslegungen. Und die Götter haben sicherlich besseres zu tun, als jede Handlung ihrer Diener zu überwachen und bei der kleinsten Übertretung tadelnd den Finger zu heben.

Aber auch nicht-Geweihte haben meist einen Glauben und dieser beeinflusst ihr Denken und Handeln. Das schließt auch Spielercharaktere mit ein!

Abschließende Worte

Wie ich oben geschrieben habe, ist das hier nur eine lose Sammlung einiger Gedanken die mir zur Weihnachtszeit durch den Kopf gegangen sind. Niemand muss Religion zum Teil seines Rollenspiels oder Lebens machen und ich würde mir nicht anmaßen das jemandem aufzuzwingen. Aber ich denke, dass es eine Bereicherung sein kann, vor allem, wenn man sich nicht nur auf Klischees und Spielwerte reduziert.

Ich hoffe ihr konntet für euch und euren Spieltisch etwas mitnehmen und startet heute Nacht gut ins neue Jahr. Mehr zu lesen gibt es dann in 2017.

Bis dahin, viele Grüße

featherandsword / Michael