Der 13. Krieger aus Sicht eines Rollenspielers (Teil 2)

In Teil 1 meiner Artikelserie zu „Der 13. Krieger“ (im Original: „The 13th Warrior“) habe ich den Anfang des Films beschrieben und wie er mich beim erneuten schauen, genau wie beim ersten Mal vor vielen Jahren, in seinen Bann gezogen hat. Dabei fühlt sich der Film für mich an wie eine Rollenspielgeschichte, mit den Protagonisten als Spielercharakteren auf ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer. Ein alter Feind bedroht den Norden und glaubt man der Prophezeiung können nur die dreizehn Krieger ihm Einhalt gebieten. Nach langer Reise erreichen die Helden schließlich die Küste des Nordens.

Im heutigen Beitrag beschäftige ich mich damit, was die Helden dort erwartet und wie der Film mit wenigen Mitteln eine einzigartige, glaubhaft düstere Stimmung erzeugt, die ich gerne an den Spieltisch transportieren würde. Was den Film aus meiner Sicht ausmacht, ist ein Mysterium das sorgfältig aufgebaut wird. Wir als Zuschauer wissen so wenig wie die Helden, was sich dort im Nebel versteckt. Aber würde das auch am Spieltisch funktionieren?

Die Helden sind an der Küste des Nordens angekommen. Dichter Nebel versperrt die Sicht und daraus schält sich eine zerklüftete Küste hervor. Das Land im Nebel ist bedeckt von undurchdringliche Wäldern und die Umrisse eines Ortes sind in der Ferne zu sehen. Er scheint menschenleer. Niemand ist da um die Dreizehn zu begrüßen. Das Schiff wird entladen und Herger wirft Ibn ein Schwert zu. Das hier ist gefährliches Land, jeder der Dreizehn muss bewaffnet sein, auch wenn der junge Araber das ihm überlassene Schwert nicht einmal heben kann.

Dann: ein Reiter nähert sich! Ist er Freund oder Feind? Edgtho hat ihn als erster bemerkt. Die Stimmung ist angespannt als er berichtet. Rethel (gespielt von Mischa Hausserman) springt vom Pferd und legt einen Pfeil auf den Bogen. Edgtho (gespielt von Daniel Southern) hört in den Wind und mit jedem Detail das er nennt wird klarer, wie begabt er als Späher ist. Der Reiter der erscheint ist ein Herold, geschickt um zu erfahren, wer hier an der Küste gelandet ist. Buliwyf antwortet ihm wortgewandt. Er stellt klar, dass sie hier seien um dem König zu dienen und so wird die Gruppe an dessen Hof eingeladen.

Die Musik als Stilmittel

Der Film hat zwei Musikstücke, die als Leitmotive immer wiederkehren. Eine dieser Melodien, ein leises Pfeifen in der Ferne, umhüllt von unheilvoller Stille. Sie klingt wie Nebel, als würde sich hinter ihr etwas verbergen. Sie begleitet Mysterien und ist ein Vorbote von Gefahr. Als die Helden das erste Mal einen Blick auf das Land im Norden werfen und als sich später der unbekannte Reiter nähert, spielt sie im Hintergrund.

Das Lied der Helden dagegen ist ein kraftvolles orchestrales Stück mit Chorälen als Untermalung. Es strahlt Entschlossenheit und Stärke aus und spielt als wir die Heldengruppe über das Land reiten sehen und später immer wieder, wenn sie die Initiative ergreifen.

Beide Stücke stehen im Gegensatz zueinander und beschreiben damit die ganze Idee des Films: mutige und tapfere Helden die sich einem Mysterium stellen; einer Gefahr, die größer scheint als sie selbst. Macht und Machtlosigkeit als Gegenpole der Erzählung.

Dazu gesellen sich einige Stücke, die eher als Untermalung für die Szenen des Films dienen. Die Stimmung ist meist melancholisch, die Melodien erscheinen etwas gedämpft, sind selten aufdringlich oder im Vordergrund. Wird die Musik dann von Stille und einem leisen Pfeifen im Wind abgelöst, blickt man gebannt auf den Fernseher, lauscht auf jedes Geräusch, als wäre man selbst in Gefahr.

Mittelpunkt der Erzählung

Die Dreizehn erreichen schließlich das Dorf und müssen feststellen, dass hier einiges im Argen liegt. Der Ort ist nicht befestigt und es gibt kaum einen Mann, der ein Schwert tragen kann. Die Kamera schwenkt und zeigt den Blick über das weite Land. Von den Stufen der großen Halle des Königs kann man bis zu den bewaldeten Bergen am anderen Ende der Bucht blicken, in der die Gruppe gelandet ist.

Die Halle König Hrothgars ist als Zentrum des Abenteuers perfekt gewählt. Alle späteren Schauplätze des Films können von hier aus gesehen und binnen weniger Stunden erreicht werden. Gleichzeitig bietet zumindest die Haupthalle einen gewissen Schutz und es ist genug Platz um die Helden, ihre Pferde und ihr Gepäck unterzubringen. Das Dorf jedoch ist wehrlos und die Bewohner sind darauf angewiesen, dass die Protagonisten für sie eintreten.

Der König ist ein alter, kränklicher Mann und doch begegnet Buliwyf ihm mit Respekt. Man kann nur erahnen, dass Hrothgar (gespielt von Sven Wollter) einst, ein respektierter und mächtiger König gewesen sein muss. Jetzt sitzt er zusammengesunken auf seinem Thron und nur die Dreizehn vermögen es noch das Königreich zu retten.

Doch retten, wovor? Bevor der König diese Frage beantwortet, schneidet der Film nach draußen, zu dem Moment, als die Charaktere über die Worte des Königs diskutieren und die Legenden über den angeblichen Feind austauschen. Ibn lässt den Blick schweifen und da ist sie wieder, die Melodie, das Pfeifen im Wind. Etwas ist da. Ein Kind läuft einsam, nackt, panisch über das Feld.

Musik setzt ein: das Lied der Helden. Die Dreizehn reiten hinaus zum Waldrand, begleitet von Weilew (gespielt von Diane Venora), der Königin. Sie nimmt den völlig verängstigten Jungen in ihren Arm, berichtet, dass seine Familie einen Hof im Wald hat. Etwas muss passiert sein.

Stille. Sonnenstrahlen durchdringen das Blätterdach und vertreiben den morgendlichen Nebel. Außer dem Schnauben der Pferde und dem Surren von Insekten kein Geräusch. Die Männer wagen es nicht zu sprechen, geben sich Handzeichen, machen sich bereit den Hof zu stürmen. Rethel hat einen Pfeil aufgelegt und beobachtet die Umgebung angespannt. Wir sehen die Ereignisse aus Ibns Sicht, der neben Rethel verharrt. Es geht alles ganz schnell, die anderen Krieger stürmen den Hof, doch kein Kampfeslärm ertönt. Stattdessen blickt der Araber in stoische Minen als seine Gefährten langsam wieder aus der Hütte herauskommen.

Wir folgen Ibn als er das Haus betritt. Die anderen schweigen, wirken geschockt. Im inneren ist der Boden voll Blut, Fliegen kreisen darüber. Von der Decke hängt der Leichnam eines Mannes, sein Kopf fehlt. Die Szenerie erinnert an ein Schlachthaus, in dem ein Tier zum Ausbluten aufgehängt wurde. Auf dem Boden, mehr Leichen. Ein Körper ist bedeckt von Bissspuren, die vage menschlich aussehen. Die Kamera dreht sich, fokussiert eine Schlafstätte. Der Arm eines Kindes lugt unter den Decken hervor. Als Ibn diese anhebt, rutscht die abgetrennte Gliedmaße mit einem schaurigen Geräusch aus dem Bett. Alles dreht sich. Panik ist in den Augen des Arabers zu sehen als er hinausläuft und sich geräuschvoll übergibt. Seine Begleiter haben nur eins zu sagen: „Es stimmt also.“ Der Alte Feind ist zurück. Ein bekannter Gegner, aber einer, den es nur in Legenden geben sollte.

Die Bedeutung von Nichtwissen

Wir erfahren mehr über diesen Feind. Sie sollen die Köpfe der Toten stehlen und sich an ihrem Fleisch laben. Es sind intelligente, gefährliche Feinde, die ihre Spuren verwischen und es bisher vermeiden konnten, sich offen zu zeigen. Aber es sind keine Menschen, sondern Wendol. Ein Wort gesprochen wie ein Fluch. Die ganze vorangehend beschriebene Szene dient allem voran dem Zweck klarzumachen, dass die Feinde Bestien sind. Unmenschen, Monster, fähig zu Taten, die ohne jeden Zweifel abgrundtief Böse sind.

Die Helden finden ein Götzenbild, eine kleine Statuette einer kopflosen Frau. Die Mutter der Wesen. Und irgendetwas braut sich zusammen, denn die Tiere sind unruhig und verlassen den Wald. Es heißt die Wendol würden mit dem Nebel kommen, wenn es am dunkelsten ist. Die Helden müssen zurück in die Halle und sich bereitmachen.

Alles, bis hier hin, dient dem Aufbau von Spannung und dem Weben eines Mysteriums, dass es zu ergründen gilt. Die Charaktere sind im Mittelpunkt dieser Erzählung und wissen doch, genau wie wir als Zuschauer, nicht was hier wirklich passiert und mit was sie es zu tun haben. Der kürzlich erschienene Artikel von Gedankenkompost „Die Rolle von Nichtwissen in Rollenspielwelten“ beschäftigt sich mit genau diesem Thema. Wären die Feinde hier althergebrachte Gegner wie Untote oder Werwölfe, hätten wir als Zuschauer einen enormen Wissensvorsprung vor den Protagonisten. Wir wüssten ja aus vielen anderen Filmen, Büchern und Spielen, wie man die Gegner besiegen könnte. Wir wären in einer beobachtenden Rolle und das Interessante wäre, wie die Charaktere auf die uns bekannte Lösung kommen. Der 13. Krieger wählt jedoch, ich unterstelle mit Absicht, einen Gegner, den wir als Zuschauer eben nicht kennen. Nicht die Lösung des Problems ist interessant, sondern das Aufdecken eines Mysteriums. Wir sollen die Sicht der Helden einnehmen, allen voran die von Ibn, dem noch dazu das ganze Land im Norden fremd ist. Und damit das funktioniert, muss der Film so lange es geht die Wahrheit von uns fernhalten.

Der Nebel ist dafür eine schöne Metapher, die im Film immer wieder Verwendung findet. Wir sehen selten etwas klar und selbst, als viel später das Mysterium um die Wendol aufgelöst wird, sich der Nebel lichtet, bleiben trotzdem viele Details verborgen, viele Fragen unbeantwortet.

Im Rollenspiel ist das, aus meiner Sicht, nur sehr schwer umzusetzen. Würde ich morgen ein Fantasy-Abenteuer rund um dreizehn Krieger und eine alte Bedrohung im hohen Norden anbieten, wüssten wahrscheinlich mehr als die Hälfte meiner Spieler, wer hier der Feind ist. Spielt man in einer offiziellen Spielwelt, muss in irgendeinem Quellenbuch für den Spielleiter verständlich die Lösung des Mysteriums beschrieben sein. In den meisten meiner Gruppen würde das wiederum mit sich bringen, dass auch viele der Spieler eben dieses Quellenbuch besäßen und entsprechend wüssten, was sich im Nebel verbirgt.

Ist also der einzige Weg aus dieser Zwickmühle immerwährende Innovation? Muss ich jedes Mal als Spielleiter einen Twist einbauen? Eine neue Idee, ein neues Monster aus dem Hut zaubern? Ich denke, nein. Ist immer alles ein Mysterium, wird das mysteriöse schnell banal. Das Spiel wird berechenbar, vielleicht sogar langweilig. Rollenspiel ist vielseitig und Spieler mögen ganz unterschiedliche Facetten des Hobbys. Und ebenso vielseitig sollten die Abenteuer angelegt sein.

Würde ich den 13. Krieger in genau dieser Form mit einer Gruppe Freunde nachspielen wollen? Ich glaube, nein. Das Mysterium wäre für meine Spieler keines und damit würde ein großer Teil des Reizes verloren gehen. Aber was wäre, wenn man das irdische Setting hinter sich lassen und das Abenteuer in eine Fantasy Welt verlegen würde? Der Geschichte einen anderen Twist gäbe? Das Drehbuch etwas umschrieb? Vielleicht versuche ich das beim nächsten Mal und Spinne den Gedanken fort.

Ausblick

Um auf den Film zurückzukommen: Die dreizehn Krieger wissen jetzt also, mit wem sie es zu tun haben, wenn auch nur aus Legenden. Sie kehren in die Halle des Königs zurück, speisen und bereiten sich auf die Nacht vor. Die erste Konfrontation mit dem Feind steht bevor. Aber nicht nur von den Wendol droht Gefahr, auch am Hof des Königs lauern Feinde. Der Film wird im Mittelteil durch die weiteren Charaktere vielschichtiger und neben der Haupthandlung werden einige kleine Nebengeschichten erzählt, auf die ich im nächsten Teil der Serie näher eingehen werde.

Vielen Dank an dieser Stelle an die Leser, die beim ersten Artikel Kommentare dagelassen haben und mich damit zum Nachdenken brachten: Wer sind wirklich die wichtigsten Charaktere und wenn das ein Rollenspiel wäre, welche Klassen hätten sie am Spieltisch? Im nächsten Teil der Artikelserie versuche ich unter Anderem diese Fragen zu beantworten und nehme mir dabei das aktuelle Dungeons & Dragons Regelwerk zur Hilfe.

Bis dahin, viele Grüße

featherandsword / Michael


Disclaimer: Titelbild und alle weiteren verwendeten Abbildungen © Concorde Home Entertainment. „Der 13te Krieger. USA, 1999.“